Die französische Film- und Theaterschauspielerin Isabelle Huppert ist Botschafterin zum Welttheatertag 2017. In ihrer Rede zum 27. März ging sie auch auf den Gemeinschaft stiftenden, Grenzen überwindenden, zusammenführenden Charakter von Theater ein. Der Welttheatertag wird seit 1962 begangen, um die Bedeutung und Wirkung der Bühnenkunst im gesellschaftlichen Kontext zu betonen.
Seit nunmehr 55 Jahren findet jedes Frühjahr ein Welttheatertag statt. Ein Tag, das heißt 24 Stunden, die in der Heimat des No und des Bunraku beginnen, dann zur Peking Oper und dem Kathakali überwechseln, sich in Griechenland und Skandinavien bei Aischylos und Ibsen verspäten, zwischen England und Italien pendeln, von Sarah Kaine zu Pirandello, unter anderen Ländern auch über Frankreich ziehen, auch dort wo wir uns befinden, über Paris, der Stadt, welche immerhin die meisten ausländischen Theatertruppen auftreten lässt.
Die 24 Stunden führen uns von Frankreich nach Russland, von Racine und Molière zu Tschechow, sie überqueren den Atlantik, um schließlich auf einem Universitätscampus in Kalifornien zu landen, wo junge Leute das Theater wiedererfinden, vielleicht. Immer wieder wird das Theater aus seiner Asche geboren. Es besteht ja aus Absprachen, die man immer wieder abschaffen kann. So bleibt es lebendig. Das Theater ist wild wucherndes Leben, das Zeit und Raum herausfordert, die zeitgenössischsten der Stücke nähren sich von vergangenen Jahrhunderten und das klassischste Repertoire wird modern, jedes Mal ,wenn man es neu inszeniert.
Der Welttheatertag ist kein Tag im banalen Alltagssinn. Er lässt ein immenses Raum-Zeit-Kontinuum wiedererstehen, und um dieses Raum-Zeit-Kontinuum zu evozieren, möchte ich auf einen ebenso diskreten wie genialen Dramatiker verweisen, auf Jean Tardieu. Ich zitiere: „Für den Raum fragt er nach dem längsten Weg zwischen einem Punkt und einem anderen… Für die Zeit schlägt er vor, in Zehntelsekunden die notwendige Zeitspanne zu messen, um das Wort “Ewigkeit” auszusprechen.” Zum Raum-Zeit-Kontinuum sagt er auch: „Fixiert beim zwei beliebige Punkte im Raum und berechnet die Zeit, um im Traum von einem zum anderen zu gelangen. “ Ich bestehe auf den Worten „im Traum“. Es ist, als wären sich Jean Tardieu und Bob Wilson begegnet. Man könnte den Welttheatertag mit den Worten zusammenfassen, die Samuel Beckett in gewohnter Kürze und Bündigkeit Winnie in dem Mund legt: „Oh, welch glücklicher Tag wird heute gewesen sein.“ Beim Nachdenken über diese Botschaft, um die man mich gebeten hat, habe ich mich an all solche Träume in all solchen Szenen erinnert. Ich komme ja nicht allein in diesen Saal der UNESCO, alle Figuren, die ich auf der Bühne dargestellt habe, begleiten mich. Rollen, aus denen man augenscheinlich schlüpft, wenn das Stück zu Ende ist, die aber in einem selbst weiter ein unterirdisches Leben führen, immer dazu bereit die Rollen die auf sie folgen zu befördern oder zu zerstören: Phèdre, Araminte, Orlando, Hedda Gabler, Medea, Merteuil, Blanche Dubois… Es begleiten mich auch die Figuren, die ich als Zuschauerin geliebt und denen ich Beifall gespendet habe. Und darin gehöre ich zur ganzen Welt: Ich bin Griechin, Afrikanerin, Syrerin, Venezianerin, Russin, Brasilianerin, Perserin, Römerin, Japanerin, Marseillerin, New Yorkerin, Philippinin, Argentinierin, Norwegerin, Koreanerin, Deutsche, Österreicherin, Engländerin, die ganze Welt. Die wirkliche Globalisierung findet hier statt.
1964, anlässlich des Welttheatertags, kündigte Laurence Olivier an, dass nach einem Jahrhundert des Kampfes in England endlich ein Nationaltheater geschaffen wurde, von dem er wollte, dass es sofort zum internationalen Theater würde, zumindest in seinen Spielplänen. Er wusste, dass Shakespeare jedem in dieser Welt gehört.
Ich nehme gern zur Kenntnis, dass die erste Botschaft dieser Welttheatertage Jean Cocteau anvertraut wurde, der ja besonders dazu bestimmt war, als Autor einer „Weltumrundung in 80 Tagen“. Ich habe auf meine Art eine solche Weltumrundung gemacht, mit 80 Theaterstücken oder 80 Filmen. Ich spreche auch von Filmen, denn ich mache keinen Unterschied zwischen der Schauspielerarbeit im Theater und im Film, es überrascht wenn ich das sage, aber es ist wahr, es ist so. Kein Unterschied.
Wenn ich hier spreche, bin ich nicht ich selbst, ich bin keine Schauspielerin, ich bin nur eine von vielen Menschen dank derer das Theater weiter besteht. Das ist ein wenig unsere Pflicht. Und es ist unsere Notwendigkeit. Wie soll man sagen: wir sind es nicht, die das Theater existieren lassen, wir existieren dank des Theaters. Das Theater ist stark, es leistet Widerstand, es überlebt alles, Kriege, Zensur, Geldmangel. Es genügt, wenn man sagt: „der Dekor ist die leere Bühne, die Zeit ist unbestimmt, und lässt dann einen Schauspieler auftreten. Oder eine Schauspielerin. Was wird er tun? Was wird sie sagen? Werden sie sprechen? Das Publikum wartet, es wird es bald wissen, das Publikum, ohne das es kein Theater gibt. Das darf man nie vergessen. Eine einzige Person im Zuschauerraum gibt schon ein Publikum her… Aber bitte nicht zu viele leere Stühle! Außer bei den „Stühlen“ von Ionesco…. Da sagt die Alte zum Schluss: „ Ja, ja sterben wir mitten im Ruhm… Sterben wir, um zur Legende zu werden… Haben wir zumindest unsere Straße…“
Der Welttheatertag existiert seit 55 Jahren. In diesen 55 Jahren bin ich die achte Frau, die man um eine Botschaft bittet, ich weiß auch nicht ob das Wort „Botschaft“ zutreffend ist. Meine Vorgänger –hier im gebräuchlichen Maskulinum- sprechen beim Thema Theater von Phantasie, Freiheit, vom Ursprung, reden vom Multikulturellen, von Schönheit, von Fragen ohne Antworten… 2013, also vor nur vier Jahren, sagte Dario Fo: „Der einzige Ausweg aus der Krise besteht in der einer großen Hexenjagd auf uns, besonders auf die Jugend, die die Theaterkunst erlernen will: so wird daraus eine Diaspora von Schauspielern, die aus diesem Zwang unvorstellbaren Nutzen für eine neue Darstellungskunst ziehen“ Unvorstellbarer Nutzen, eine schöne Formel für ein politisches Programm, nicht wahr?… Und weil ich mich in Paris befinde, kurz vor einer Präsidentschaftswahl, schlage ich denen, die darauf aus sind, uns zu regieren, vor, auf den unvorstellbaren Nutzen des Theaters zu achten. Aber keine Hexenjagd!
Theater, das ist der andere, ist Dialog, ist Abwesenheit von Hass. Was Völkerfreundschaft bedeutet, weiß ich nicht so recht, aber ich glaube an die Gemeinschaft der Zuschauer und der Schauspieler, im Bund mit allen, die das Theater vereint, diejenigen die schreiben, diejenigen die übersetzen, die Beleuchter, Ankleider. die Dekorateure, die Interpreten, diejenigen, die machen, diejenigen die hingehen. Der Theater schützt uns, ist uns Herberge… Ich glaube, dass es uns liebt … genauso wie wir es lieben… Ich erinnere mich an einen Bühnenmeister vom alten Schlag, der jeden Abend, bevor der Vorhang aufging, in der Kulisse mit fester Stimme sagte: „Platz dem Theater!“
Damit möchte ich schließen. Danke.