Abschied von Anne Schreier und Jule Gerlitz
16. Dezember 2021DTHG vor 100 Jahren: 1920
16. Dezember 2021Zwei Weltkriege, Weltwirtschaftskrisen, 40 Jahre geteiltes Deutschland und die Coronavirus-Pandemie:Das alles hat die DTHG überlebt. 1907 von theatertechnischen Enthusiasten gegründet, erlebt der Verband derzeit eine Renaissance. Aber wie war es vor 100 Jahren? Hubert Eckart, Autor der zweibändigen Chronik der DTHG, erzählt in dieser Rubrik die Geschichte der DTHG noch einmal.
1918-1920: Wiederaufbau der Theaterlandschaft
Am 18. Dezember des Jahres 1918, gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten, stieg ein 20jähriger Mann in schmutziger, abgerissener Militärkleidung am Bahnhof Dresden-Neustadt aus einem Zug. Dieser bestand aus Wagen der vierten Klasse sowie aus Gepäck- und Güterwagen. Der junge Mann war nicht allein, hunderte Gleichaltrige waren mit ihm zusammen angekommen. So sahen Verlierer aus, Deutschland hatte am 11. November die Niederlage eingestehen müssen und den Waffenstillstandsvertrag von Compiégne unterschrieben. Der junge Mann hatte vor zwei Jahren sein Studium abbrechen müssen, weil er in die Telegraphenabteilung der Armee einberufen wurde. Jetzt wollte er so schnell wie möglich sein Studium der Elektrotechnik fortsetzen.
Sein Ziel hatte er nicht aus den Augen verloren: Er wollte als Ingenieur am Theater arbeiten – dort, wo in den Jahren vor dem Krieg eine völlig neue Dimension des technischen Fortschritts Einzug gehalten hatte. Doch zunächst musste er durch den nassgrauen Abend zu Fuß zur elterlichen Wohnung laufen. Schneeregen durchnässte seine dürftige Kleidung, die Straßenbeleuchtung funktionierte nicht. Zuhause angekommen wurde er von seinen Eltern und einem guten Freund des Hauses, Max Hasait, seines Zeichens Technischer Direktor der Dresdner Semperoper, bereits erwartet.
So groß die Freude über das Wiedersehen auch war, so traurig waren die Berichte über den Zustand der deutschen Theater. Viele Theater waren geschlossen, darunter alle Privattheater, an den wenigen, die bis vor einigen Wochen noch gespielt hatten, fehlten die Männer, da diese den sinnlosen Kriegsdienst absolvierten.
Hasait konstatierte: „Was uns bevor steht, ist nichts weniger als der Neuaufbau einer ganzen Theaterlandschaft!“ Dazu war der junge Mann bereit. Voller Ungeduld wollte er die zwei verlorenen Jahre aufholen und seinen Traum verwirklichen. Sein Name, der in den kommenden 55 Jahren weit über Deutschland noch große Wertschätzung erfahren sollte, war Walter Unruh.
In den Jahren 1918 bis 1920 gab es praktisch keine Aktivitäten des Verbandes deutscher Bühnentechniker, der auch nur ca. 60 Mitglieder hatte. Die wirtschaftliche Not der Theaterbeschäftigten war sehr groß. Die ehemals höfischen Theater wurden größtenteils kommunalisiert, aber auch privatisiert. Andere bis dahin bestehende Privattheater wurden in andere Rechtsformen überführt, um weiterbestehen zu können. Unter diesen Umständen litten auch die deutschen Fachfirmen der theatertechnischen Industrien. Im Inland herrschte das politische Chaos mit all seinen Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben. Erneuerungen technischer Anlagen oder Neubauten wurden, soweit überhaupt durchführbar, von den Auftraggebern zunächst annulliert oder zurückgestellt. Durch den verlorenen Krieg waren auch die ausländischen Geschäftsbeziehungen der deutschen Fachfirmen weggebrochen, welche vor dem Krieg, wegen der damit verbundenen Bedeutung dieser Branche, auf dem Weltmarkt mit beträchtlichen Einnahmen verbunden gewesen waren.
Da der Verband in dieser von schweren sozialen Nöten und wirtschaftlichen Kämpfen geprägten Zeit für seine Mitglieder um eine größere Durchsetzungskraft bemüht war, ergab sich ganz automatisch eine Verschiebung der in der Satzung des Verbandes festgelegten Grundsätze über die Arbeitsziele der Theatertechnik und deren Realisierung. Durch die politischen Umwälzungen traten jetzt die sozialen Probleme des Berufsstandes gegenüber den satzungsmäßig festgelegten Abschnitten der Aus- und Weiterbildung, Hebung des Berufsstandes und Beratung der Behörden und Theaterträger in bühnentechnischen Belangen in den Vordergrund. Die bisherigen Ziele wichen der Vorgabe ganz realer Alltagsforderungen der Theaterbeschäftigten nach Lohn und Brot in dem nunmehr sozialdemokratisch beherrschten Denken des neuen Staatswesens. Eine Erkenntnis, der sich der Verbandsvorstand nicht verschließen konnte, um das Weiterbestehen in der Zukunft nicht zu gefährden.
In diesem Jahre muß eine Generalversammlung stattfinden. Bisher haben 22 Mitglieder sich über Ort und Zeit geäußert und als Ort Berlin oder Dresden und als Zeit Ende Juni oder Anfang Juli diesen Jahres vorgeschlagen. Die Generalversammlung soll die Grundzüge für die künftige Gestaltung und Arbeitsweise des Verbandes ausarbeiten, deshalb ist die Anwesenheit jedes einzelnen Mitgliedes unbedingt notwendig. Um allen Mitgliedern den Besuch der Versammlung bei den jetzigen Verkehrsschwierigkeiten zu ermöglichen, muß ein Ort gewählt werden, der von allen Orten gut zu erreichen ist. Es wird daher gebeten, diesbezügliche Wünsche sofort an den Technischen Direktor M. Hasait – Dresden Opernhaus‚ einzusenden. Die Mitglieder werden fernerhin ersucht, Anträge auf Satzungsänderungen schon jetzt einzureichen, damit diese rechtzeitig veröffentlicht werden können.
(Fortsetzung folgt)
Beitragstext und Bild: Hubert Eckart (Geschäftsführer DTHG Service GmbH)
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